Der vergessene Finger

"Chico” möchte nicht länger im Abseits stehen und wartet auf seinen Einsatz!

„Chico” möchte nicht länger im Abseits stehen und wartet auf seinen Einsatz!

Villa-Lobos nutzte ihn, Andres Segovia nicht – den kleinen Finger der Zupfhand, auch als „c“ (cuatro) bezeichnet.

Ich nenne ihn „chico“. Weitgehend vergessen, reduzieren Gitarristen heute seinen Gebrauch hauptsächlich nur noch auf das Rasgueado. Vergessen, dass Dionisio Aguado in seiner Gitarrenschule dem 5-fingrigen Anschlag mit dem „Kleinen“ eigene Übungen widmete! Karl Scheit retuschierte in seiner Ausgabe dieser Schule leider den Fingersatz – unter dem Stichwort “modernisieren”.

Südamerikanische Fingerfertigkeit

Villa-Lobos brachte sich das Gitarre-Spielen selber bei und benutzte dabei vermutlich instinktiv den kleinen Finger. Doch ob Instinkt oder Berechnung, Fakt ist: er nutzte ihn einfach!

Beim ersten Treffen von Segovia und Villa-Lobos bemäkelte Segovia den Einsatz seines rechten kleinen Fingers. Villa-Lobos konterte: „Ah, er wird nicht benutzt? Dann schneid ihn ab!“

Nie konnte Segovia Villa-Lobos vom kleinen Finger abbringen, und nie konnte Villa-Lobos Segovia überzeugen ihn zu nutzen. Sie wurden und blieben aber dennoch Freunde.

Special-Agent chico

Chico heute: Manche Gitarristen erzeugen mit chico anstelle des Ringfingers die künstlichen Flageolletts. Die Glockentöne bekommen so eine andere Klangfarbe. Michael Tröster benutzt chico beim Concierto de Aranjuez. Der US-Gitarrist Charles Postlewate beschäftigte sich sehr intensiv mit dem Gebrauch von chico und arbeitet daran ihn wieder “gesellschaftsfähig” zu machen.

Zu kurz gekommen?

„Viel zu kurz“ argumentieren die Gegner von chico. Jedoch – die moderne schräge Handstellung gleicht das prima aus. Francisco Tárrega mit seiner parallelen Handhaltung hätte da durchaus noch eher Probleme mit der „Kurzlebigkeit“ gehabt.

In der Kürze liegt die Würze: ich finde es schade, dass viele Gitarrenlehrer generell den Gebrauch von chico ablehnen. Dabei gäbe es hierbei durchaus Potentiale und spieltechnische Bereicherungen zu entdecken. Probiere es einfach mal selber aus!

Mehr Infos zum fünffingrigem Spiel: www.charlespostlewate.com

Literatur und Medien zum 5-fingrigem Spiel:

Hinterlassen Sie einen Kommentar

Sie müssen eingeloggt sein, um zu kommentieren.