Rasende-rasante Läufe: Zwicken oder picken?
Schnelle Läufe beeindrucken. Und sie machen beiden Spaß, dem Spieler und dem Zuhörer. Wie kann man solche Geschwindigkeiten erreichen?
Übersicht
Betrachten wir hierzu zunächst die verschiedenen Anschlagsarten. Bei der Tonerzeugung unterscheiden wir das Spiel mit dem
- Plektrum-Plättchen und
- das Picking: Zupfen/Anschlagen der Saiten mit den Fingern.
- Darüberhinaus gibts noch eine Mischform, das Picken mit Fingerpicks
- Mit dem „nackten“ Finger, unterstützt vom Fingernagel, spielt man im Klassik- und Flamencobereich.
Das Plektrum entwickelte sich aus dem Anschlag mit einem Gänsekiel zur Zeit der Laute, quasi die Urform des Plektrums. Im Wechsel hoch und runter zupfte bzw. riss der Lautenist die Saite an. Das erste Plektrum.
Das Auf- und Ab wurde schließlich mit Fingern nachgeahmt und fingertechnisch als Picken bei der Laute mit p-i (auch p-m) realisert. Daumen und Zeigefinger schlagen nun im Wechsel die Melodie auf (Zeigefinger) und ab (Daumen).
Natürliches Nagelplektrum?
Nägel sind das natürliche Plektrum des Gitarristen (dazu gibt’s einen tollen Cartoon von Garfield!). Trotzdem kommt der Fingeranschlag nie an die rasanten Läufe von Plektrumsgitarristen heran. Das Auf- und Abschlagen aus dem Handgelenk heraus erreicht höhere Geschwindigkeit als das Finger vor- und zurück des i-m-Wechselschlags.
Der Wechselschlag bei Klassik und Flamenco läuft üblicherweise über Zeigefinger und Mittelfinger im Wechsel, dabei springen beide Finger im Wechsel vor und zurück, wie eine Schere. Das hat sich bewährt und eingebürgert. Dennoch sind der Geschwindigkeit hiermit Grenzen gesetzt. Rasante Läufe in rasender Geschwindigkeit sind nicht jedem „geläufig“. In Sachen Geschw. sind die Stromer den Klassikern meist über!
Wechselschlag bei Klassik und Flamenco-Gitarre
Der Klassik- und Flamencogitarrist hat folgende Anschlagsmöglichkeiten für schnelle Läufe:
- Klassischer Wechselschlag i-m (Variation: i-a, m-a)
- Dreifinger-Wechselschlag a-m-i
- Zwicken: p-i
Läufe und Melodien „zwicken“
Das Zwicken ist dem klassischen Wechselschlag i-m in Sachen Geschwindigkeit über! Das Zwicken ist ein „p-i-cken“ mit Daumen und Zeigefinger. Wie oben beschrieben, entwickelte es sich aus der Lautentechnik. Der Daumen p schlägt bei der Melodie und beim Lauf abwärts, der Zeigefinger i aufwärts. Hier lassen sich sehr hohe Geschwindigkeiten erzielen, höher als mit dem herkömmlichen Wechselschlag. Einziges Problem ist die Klangqualität:
- der Daumen klingt meist klanglich anders als die übrigen Langfinger
- p-i-Läufe werden nichtangelegt ausgeführt.
Der unterschiedlich klingende Daumen eröffnet aber mit den wechselnden Fingeranschlägen in tirando oder apoyando eine interessante, abwechslungsreiche Klanggestaltung.
„ami“ ist dein guter Freund 😉
Alternativ sind Läufe unter Zuhilfenahme des Ringfingers realisierbar: a-m-i. Das Drei-Finger-System hat sich ja schon beim Tremolo bestens bewährt. Am Anfang recht ungewohnt, gewöhnt man sich schnell daran. Überhaupt macht es Sinn, den Ringfinger öfters zur Entlastung einzusetzen. Er leistet wertvolle Dienste. Wechselschlag mit a-m-i trainiert auch die Finger für das Tremolo. An die Geschwindigkeit eines Laufes über Plektrum kommt aber auch der Dreier-Wechselschlag nicht heran, wie die Praxis und Untersuchungen zeigen.
Klassischer Wechselschlag i-m
Meist fange ich mit „m“ an, also m-i, denn der Mittelfinger ist lang und stark und bietet sich daher geradezu an für den Einstieg. Zum Trainieren und Variieren gibt es noch i-a (stärkt den Ringfinger, gut fürs Tremolo) oder auch m-a.
Wichtig ist beim klassischen Wechselschlag – den Lauf immer mit dem selben Finger anfangen! Denn bei Saitenkreuzungen kommt er ansonsten ins Stolpern. Wenn der Finger die Saite verlässt und auf die andere übergreift, geht das nur gut, wenn bei dem Lauf das immer dieselben geübten Finger ausüben.
Entspannte Hand und ein paar Tricks
Wichtig ist auch eine stabile, ausgegelichene Handhaltung. Die Hand in der richtigen und entspannten Position über den Saiten. Ein ergonomischer, kraftsparender Anschlag, trotzdem rund und voller Energie.
Der Kleine Finger der rechten Hand hilft, wie der Schwanz eines Eichhörnchens, beim Stabilisieren der rechten Hand. Früher beim Lauten-Spiel, oder heute bei der E- und Akustik-Gitarre, setzen die Spieler ihn gerne auf der Decke ab. So stützen sie die Hand in einer guten Position. Bei der Klassikgitarre ist dies nicht üblich. Beim Klassikgitarristen hilft der Kleinfinger der rechten Hand, diese zu stabilisieren wie der Schweif eines Eichhörnchen in der Luft 😎
Entspanne deine Hand mit dem Igelball, dem Wundermittel für Gitarristen 🙂
Übe Tonleitern für mehr Schnelligkeit. Sicher, etwas langweilig, aber es fördert und fordert!
Und für schnelle Läufe ist das Rasgueado-Üben sehr hilfreich: hier werden die Finger gelockert und die Fingerstreckmuskeln gestärkt. Als Gegenbewegung zum nach innen In-die-Hand-Schlagen.
Sanftes Training des Streckmuskels. Strecken und Beugen sind Gegenbewegungen. Wer Bauchmuskeln trainiert, muss auch die Rückenmuskeln (Antagonisten) trainieren, wer einen eindrucksvollen Bizeps möchte, sollte den Trizeps nicht vernachlässigen – sonst kommte es zu Ungleichgewichten und Einseitigkeiten, die medizinische Folgen haben.
Und so sollten auch bei einem Gitarristen Beuge- (Greifmuskel) und Streckmuskel im Einklang sein. Bei Rechtshändern ist die Rechte die Zupfhand. Deren Streckmuskeln lassen sich hervorragend am Rasgueado trainieren. Die abwärts schlagende Bewegung der 4 Finger fördert und entwickelt sowohl die Streckung als auch die Unabhängigkeit eines jeden einzelnen Fingers!